In Liebe loslassen
- claudiahofmann8
- 1. Nov. 2024
- 3 Min. Lesezeit
Der Mensch und die Fähigkeit zu trauern

In den Tagen rund um Allerheiligen führt es viele Menschen auf die Friedhöfe. Dort haben wir das Gefühl, unseren lieben Verstorbenen etwas näher zu sein. Wir zünden Kerzen an, pflegen liebevoll die Grabstätte, lesen den Namen der Verstorbenen. Was für viele ein Ritual ist, das zum Jahreskreis dazugehört und das sie noch besser mit einer liebevollen Erinnerung verbindet, ist für andere vor allem eines: schmerzhaft. Und traurig.
Zwei Fragen werden von Trauernden am häufigsten gestellt: Ist meine Trauer (noch) normal? Wird es irgendwann wieder gut? Beide Fragen sind normalerweise klar zu beantworten: JA!
Trauer ist unsere natürliche Reaktion auf einen Verlust und damit ein ganz natürlicher Prozess. Wir KÖNNEN trauern, es hat die Natur für uns so vorgesehen, dass das der Weg ist, um von einem Menschen oder auch von einer Situation Abschied zu nehmen. Und die Natur hat auch vorgesehen, dass wir diesen Prozess bewältigen können. Auch, wenn es in manchen Fällen nicht leicht ist und uns zu Beginn ÜBERwältigt.
Die Trauer ist höchst individuell und mit einer ganzen Bandbreite von Gefühlen verbunden. Zu Traurigkeit, Melancholie bis hin zur Verzweiflung können auch Wut und Schuldgefühle und manchmal auch Erleichterung dazugehören. Kein Trauerprozess ist wie der andere und von Mensch zu Mensch und sogar von Trauerfall zu Trauerfall verschieden.
Dabei ist aber eines wichtig: Die Trauer ist nicht das Problem, sondern die Lösung!
Immer wieder hört man von den Phasen der Trauer und ja, jeder Trauerprozess durchläuft verschiedene Phasen, nur halten sich diese selten ans Lehrbuch. Sie können länger oder kürzer ausfallen, es kann stetig vorwärts gehen oder auch Mal eine Rückwärtsschleife eintreten. Deshalb sind idealtypische Phasenmodelle mit Vorsicht zu betrachten. Nur, weil dein Weg durch die Trauer sich nicht an das Modell hält, heißt nämlich noch lange nicht, dass etwas falsch läuft!

Um zu verdeutlichen, dass die Trauer jedenfalls ein Prozess, also ein länger andauernder Weg ist, in dessen Abschnitten jeweils auch andere Fragen relevant und andere Hilfestellungen möglich sind, möchte ich dennoch die Phasen, die Menschen in der Trauer häufig durchleben, kurz umreißen.
In der ersten Phase, ganz akuten Phase steht der betroffene Mensch meistens unter Schock. Man fühlt sich wie gelähmt, kann häufig weder essen noch schlafen noch einen klaren Gedanken fassen. Hier braucht es einen Helfer, der dafür sorgt, dass der/ die Trauernde regelmäßig isst, nicht alleine ist, zur Ruhe kommen kann.
Nach dieser ersten Schockphase hat man häufig einen Gedanken: das alles kann nicht wahr sein. Das ist nur ein Traum und ich wache gleich wieder auf. Manche Menschen treffen in dieser Phase des Verleugnens und Noch-nicht-wahrhaben-wollens auch ganz irrationale Entscheidungen, buchen zum Beispiel den Urlaub für zwei, obwohl der Partner gar nicht mehr da ist. Helfen kann hier das bewusste Herstellen von Realität: sich vom Verstorbenen bewusst verabschieden, ihn nochmals sehen. Das Begräbnis kann hier ein sehr hilfreiches Ritual sein.
Dann kommt normalerweise die Zeit der emotionalen Trauer. Man weiß nun, was passiert ist, hat verstanden, dass es endgültig ist. Jetzt zählt nur, was für den Betroffenen richtig ist und was ihm/ ihr guttut. Trauer braucht Zeit und auch Raum – auch im Zusammenleben mit anderen Menschen. Diese sind nun gefordert, den Schmerz mit dem Betroffenen gemeinsam auszuhalten. Dazu braucht es oft nicht viel, nur ein Dasein, auch wenn man nicht weiß, was man sagen oder tun kann.
Schön langsam kann der Trauernde nun wieder schrittweise mehr in den Alltag zurückfinden. Häufig beschreiben Menschen das Gefühl, dass sie die Sache wieder selbst in die Hand nehmen können. Langsam aber sicher kann wieder in die Zukunft geblickt werden. Es wird klar, dass es eine Zukunft gibt, auch wenn der geliebte Mensch nicht mehr hier ist. Der Verstorbene bekommt einen neuen Platz – im Herzen, als Schutzengel, lebt in Erinnerungen, in Erinnerungsstücken, gemeinsam besuchten Orten, aber auch in seinen Werten und Haltungen („er/ sie hätte das jetzt sounso gesagt, soundso gemacht, ich mache das soundso, weil ihm/ ihr das immer wichtig war“) weiter.
Wir bleiben mit dem Menschen, den wir verloren haben, verbunden. Das Leben geht weiter – anders, aber gut.
Wir haben von der Natur eine wunderschöne Fähigkeit bekommen, indem sie uns die Trauer geschenkt hat.
Nur durch diesen – schmerzhaften – Weg können wir dem Menschen, den wir verloren haben (oder den tierischen Gefährten oder die Situation, die sich verändert hat) einen neuen Platz an unserer Seite geben, die Basis für eine tiefe Erinnerung und Verbundenheit schaffen, die nichts und niemand uns mehr nehmen kann.
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